Editorial

  • Thilo Hinterberger
  • Birgit Ertl
Schlüsselwörter: Editorial

Zusammenfassung

Würde hilft uns, den Wert unseres Menschseins zu fassen, zu achten und zu schützen. Gleichzeitig ist mit dem Würdeempfinden eine Bewusstseinsqualität verbunden, die uns in unserem Sein bestätigt und zu einem liebevollen Umgang miteinander befähigt. Und dennoch leben wir in einer Zeit, die den Würdebegriff kaum mehr richtig kennt und häufig erst dann verwendet, wenn wir uns moralisch gefährdet sehen. Dass Würde jedoch ein Thema ist, das in einer komplexen Welt auf umso vielfältigere Weise relevant ist, wurde im Symposium der Angewandten Bewusstseinswissenschaften zum Thema „Würde und Bewusstsein – Chance für Gesellschaft und Natur“ im Oktober 2019 am Universitätsklinikum Regensburg behandelt. Aus diesem Anlass haben wir den Schwerpunkt dieses Heftes auf das Thema Würde gelegt, so dass die Inhalte einiger Vorträge und Workshops des Symposiums als Beiträge in diesem Heft nachzulesen sind. Um den Begriff der Würde jedoch in seiner Definition, Tiefe und Tragweite verstehen zu können, mag es hilfreich sein, zunächst diejenigen Autoren und Wissenschaftler anzuhören, die sich intensiv mit dem Begriff der Würde befasst haben. Dies hat Birgit Ertl getan und stellt in ihrem Beitrag „Die Würde des Menschen“ zahlreiche Gelehrte, Philosophen, Juristen, Politiker etc. vor, die Würde als Konzept definiert und seine psychologisch-gesellschaftlichen Zusammenhänge analysiert haben. Hier finden wir eine Sammlung an Sichtweisen, die multiperspektivisch präsentiert werden, ohne dabei gegeneinander aufgewogen und diskutiert werden zu müssen. Eine bewusstseinswissenschaftliche Begründung der Würde und eine Einordnung in den Rahmen von Bewusstseinsqualitäten und einem komplementären, objektiven Wertesystem liefert der Beitrag von Thilo Hinterberger. Dabei wird auch die salutogene Wirkung des Würdeerlebens deutlich, die durch vielerlei Aktivitäten und Erfahrungen kultiviert werden kann. Der Beitrag begründet jedoch auch die Ausdehnung des Würdebegriffs auf das Leben allgemein und sogar darüber hinaus auf das Unbelebte und liefert so die Grundlage für den folgenden Beitrag von Franz-Theo Gottwald. Hier wird deutlich, wie wichtig die tiefe Wertschätzung des biologischen Lebens an sich ist. Dies bringt Franz-Theo Gottwald in seinem Beitrag „Vom Wert des Lebens – oder: warum Böden, Pflanzen und Tiere Würde haben“ insbesondere dadurch zum Ausdruck, indem er aus der Würde der belebten Natur heraus deren Schutzaspekte betont und an unsere Verantwortlichkeit appelliert. An diesem Punkt setzt Claus Eurich mit seinem Aufruf zur Würde des Lebens einen wichtigen Impuls, indem er folgerichtig eine Änderung des Grundgesetzes fordert. So behandeln wir im Schwerpunktthema Würde diesen Wertschätzungsauftrag, der sich auf alles Lebendige bezieht, sowohl im biologischen Sinne als auch im Sinne der Möglichkeiten des psychischen, bewussten Erlebens, wobei jedoch der Ursprung der Würde im Bewusstsein all dessen liegt. Hier folgen weitere Betrachtungen und Differenzierungen zur Würde, wie Gabriele Sigg in ihrem kulturphilosophischen Essay zu Ehre und Würde. Sie wendet sich dem verwandten Begriff der Ehre zu und grenzt ihn von der Würde entschieden ab, so dass deutlich wird, in welcher Weise die Ehre als soziales Phänomen den Würdebegriff, der eher auf der Subjektivität des Menschenseins begründet ist, ergänzt und nicht mit der Würde verwechselt werden sollte. Eine große Bedeutung erhält Würde jedoch besonders im letzten Lebensabschnitt, in der Palliativmedizin und im Hospiz. Hier geht es einerseits um die würdevolle Behandlung der Sterbenden durch Angehörige, Pflegepersonal, Ärzte etc., andererseits aber auch darum, das eigene Leben zu schätzen und die eigenen Bedürfnisse zu achten, und das sowohl als eigene Haltung sich selbst gegenüber als auch in der Fremdbetrachtung durch die beteiligten Personen. Diese Thematik skizziert Christoph Seidl in einer kurzen, aber inhaltsreichen Betrachtung. Eine Initiative, die deutschlandweit zahlreiche Gruppen von Menschen gebildet hat, um zur Bewusstheit der eigenen Würde aufzurufen und über deren Umsetzung im Leben in Austausch gehen zu können, ist der Verein „Würdekompass e.V.“ Michael Beilmann als Mitbegründer des Vereins (neben Gerald Hüther) stellt seine Gedanken hierzu vor. Auch Wilfried Belschner ruft mit seinem Beitrag auf zu einem „Aufbruch in eine Kultur des humanen Werdens“. Hier wird deutlich, in welcher Weise das Konzept des humanen Werdens den Wert und die Würde des Menschen dadurch hervorhebt und beachtet, dass die menschliche Entwicklung als aktiver Werdensprozess und weniger als funktionale Krankheitsvermeidung betrachtet werden sollte. Das hierzu gehörende Projekt wurde in den vergangenen Jahren in der GBB e.V. mit viel Hingabe begleitet. Hier schließt sich unser Themenschwerpunkt zur Würde, obgleich auch die folgenden zwei thematisch unterschiedlich gelagerten Abhandlungen als Meditationen über die Würde des Lebens und die Würde des Erlebbaren dienen können. So ist der Beitrag von Thilo Hinterberger und Nike Walter über die Suche nach der Vis Vitalis, der Lebenskraft, eine wissenschaftliche Betrachtung des Phänomens „Leben“ und sucht dessen biologische Essenz zunächst in den naturgesetzlichen Prinzipien der Selbstorganisation, der Biophysik und Genetik. Aber auch neue Erkenntnisse der Genetik und Epigenetik lassen das Leben äußerst wundersam erscheinen, deuten jedoch nicht auf eine unbekannte Lebenskraft hin. Umso erstaunlicher sind in diesem Lichte die Zusammenhänge der Psyche und des Bewusstseins zu den biologischen Lebensprozessen und den Kräften der Lebensentfaltung. Hier schließt sich eindrucksvoll der Beitrag zur Ekstase aus sozialwissenschaftlicher Perspektive von Renate-Berenike Schmidt und Michael Schetsche an. Die vielfachen Verwendungsweisen und Aspekte der Ekstase verlangen eine genauere Definition des Begriffs Ekstase. Diese präsentieren die Autoren, indem die Ekstase als ein Gefühlserleben beschrieben wird, das „gleichermaßen verzückt, entrückt und beglückt“. Ekstase ist demnach die äußerste Form des psychischen Erlebens von Lebendigkeit, welches den Körper gleichermaßen mit einbezieht. Den Abschluss des Heftes bildet eine würdigende Rückschau auf das 20-jährige Bestehen von DKTP und GBB e.V., dem Deutschen Kollegium für Transpersonale Psychologie (DKTP), welches vor fünf Jahren in die Gesellschaft für Bewusstseinswissenschaften und Bewusstseinskultur umgewandelt wurde. Mit diesen feierlichen Gedanken schließen wir und wünschen uns, noch lange in diesem Geist der Bewusstseinsentwicklung wirken zu können.

Thilo Hinterberger und Birgit Ertl
 

Veröffentlicht
2019-07-29