Editorial

  • Liane Hofmann
  • Edith Zundel
Schlüsselwörter: Editorial

Zusammenfassung

Liebe Leserinnen und Leser,
das vorliegende Themenheft trägt den Titel „Was heilt? Heilsame Ansätze in Medizin und Psychotherapie.“ Dabei wollten wir der Frage nachgehen, welche Faktoren zur Entwicklung eines heilsamen Gesundheitssystems beitragen könnten. Die Frage „was heilt?“ berührt sehr viele Gebiete und nicht zuletzt unser eigenes Leben und Sterben. Von daher kann ein solches Themenheft sicher nicht den Anspruch erheben, das Spektrum der möglichen Antworten auf diese Fragen in seiner ganzen Vielfalt abzudecken. Und folglich galt es eine Auswahl zu treffen. Wir haben hierbei versucht, sowohl ein möglichst breites Spektrum an Perspektiven im Hinblick auf diese Frage als auch konkrete Ansätze der Heilung aus Vergangenheit und Gegenwart zu berücksichtigen. Lässt man die Texte in der Gesamtschau auf sich wirken, so fällt auf, dass sich hinsichtlich der Frage, was ein heilsames Gesundheitssystem ausmacht, im Wesentlichen zwei Antworten herauskristallisieren: Von essentieller Bedeutung ist nach Ansicht der Autorinnen und Autoren, dass die in der Gesundheitsversorgung Tätigen zum einen eine ganzheitliche, integrative oder integrale Perspektive auf das Gesundheits- und Krankheitsgeschehen einnehmen, und zum anderen, dass deren Sein und Handeln in grundlegenden menschlichen Qualitäten verankert sind. Unser Heft beginnt mit dem Abdruck eines Vortrags, den Joachim Galuska bei dem Kongress „Medizin und Psychotherapie mit Geist und Seele“ 2009 in Bad Kissingen hielt. Dieser Artikel bietet eine sehr gute Zusammenschau dessen, was bei den Themen Gesundheit, Krankheit und Heilung an Medizinischem und Psychologischem, an Theoretischem und Praktischem, an Privatem, Institutionellem, Wirtschaftlichem, Politischem und last but not least Spirituellem eine Rolle spielt. Der Philosoph und Theologe Christoph Quarch entführt den Leser in die Welt des antiken Griechenlands und zu einer vorwissenschaftlichen, beseelten Heilkunst, in der Natur nicht beherrscht, sondern in ihren Heilungskräften unterstützt wird und innere Maßstäbe, kosmische Harmonie und vor allem die Heilkraft der Liebe wichtig sind. Der Psychiater Roger Walsh stellt die älteste, weltweit verbreitete und vielerorts auch heute noch ausgeübte Heilkunst der Schamanen vor. Interessant sind die Techniken, mit deren Hilfe sie veränderte Bewusstseinszustände herbeiführen und mit Geistern arbeiten, um zu heilen. Ebenso nutzen sie aber auch körperliche, soziale und psychologische Therapieformen, und, um „Communitas“zu schaffen, Rituale und Tänze, in die der ganze Stamm einbezogen wird. Und überall spielt die Natur dabei eine wesentliche Rolle. Der Religionswissenschaftler Michael von Brück beschäftigt sich mit dem Thema Medizin im Kontext der Kulturen. Sein Artikel macht einmal mehr deutlich, dass die Berücksichtigung verschiedener Perspektiven im Heilungsgeschehen nicht eine Erfindung der postmodernen integralen Ansätze ist, sondern vielmehr auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Von Brück plädiert dafür, unterschiedliche Verfahrensweisen und Wissenssysteme als komplementär zu betrachten. Die verschiedenen Kulturen, einschließlich deren medizinische Überlieferungen, können und sollten seiner Ansicht nach voneinander lernen, um die Potentiale des Menschlichen ausschöpfen zu können. Klaus-Dieter Platsch, Internist und Dozent für chinesische Medizin, nutzt sowohl das westliche als auch das östliche Wissen und Können in seiner Praxis. Aber Heilung geschieht für ihn jenseits von Methoden und therapeutischen Interventionen in einem heilenden Feld, das – in Analogie zum Quantenfeld – als ein Meer aller Möglichkeiten wirkt, aus dem heraus sich Heilungsprozesse gestalten können. Akincano M. Weber, Dharmalehrer und Core-Therapeut, ergänzt in diesem
Folgeartikel seine Ausführungen zum begrifflich-konzeptuellen Verständnis von Acht samkeit innerhalb deren buddhistischen Ursprungskontextes um die therapeutisch- anwendungsbezogene Dimension. Neben einem Überblick über gegenwärtige achtsamkeitsbasierte psychotherapeutische Ansätze beinhaltet der Artikel eine ausführliche Darstellung der Core-Process-Therapie, die in ihrem Verständnis und in der Anwendung von Achtsamkeit noch sehr eng an das traditionelle buddhistische Verständnis angelehnt ist. Der Autor schließt mit einer kritischen Würdigung von modernen westlichen achtsamkeitsbasierten verhaltenstherapeutischen Ansätzen
einerseits und dem traditionellen Verständnis derselben andererseits. Liane Hofmann und Christian Roesler beschäftigen sich auf eine sehr feinfühlige und tiefgründige Art mit dem Archetyp des verwundeten Heilers. Ihr Artikel kreist um die Fragen „auf was will uns der uralte Mythos des verwundeten Heilers hinweisen?“, „was können wir daraus für unsere psychotherapeutische und ärztliche Tätigkeit schöpfen?“, „was lehrt uns die Wunde oder vielmehr der Prozess des Verwundetwerdens, des Verwundetseins und des Wieder-heil-Werdens?“ und „welche Dynamiken liegen der Heiler-Patient-Dyade zugrunde und welche Potentiale und Gefahren bergen diese?“ Die beiden Autoren gelangen zu dem Fazit, dass Heilen eine auf eigener Erfahrung basierende, verkörperte Haltung sei. Diese Ausgabe schließt mit einem kurzen Text von Rachel Naomi Remen, einer Pionierin der ganzheitlich ausgerichteten Medizin aus den USA. Abschließend bleibt zu sagen, dass uns die Arbeit an diesem Themenheft sehr viel Freude bereitet und dazu angeregt hat, diesen Fragen weiter nachzugehen. Wir hoffen, dass es Ihnen ähnlich ergehen wird und dass Sie in diesem Heft den einen oder anderen Gedanken finden werden, der Sie dabei unterstützt, Ihre eigenen heilsamen Ansätze und Lösungen zu entwickeln. Und vor allem natürlich, dass Sie das eine oder andere davon in Ihrer professionellen Praxis oder Ihrem privaten Alltag anwenden und leben können.

Liane Hofmann Edith Zundel

Veröffentlicht
2010-08-01