Die Welt als Geliebte

Geseko v. Lüpke im Gespräch mit Joanna Macy

  • Joanna Macy
Schlüsselwörter: Welt als lebendes System, neue Kultur des Fülens, ganzheitliche Spiritualität, allgemeine Systemtheorie, soziale und ökologische Aktion, Vertrauen angesichts von Unsicherheit

Zusammenfassung

Unsere Stellung in der Welt verändert sich grundlegend, wenn wir sie als ein lebendiges System verstehen und uns selbst als Teil eines im weitesten Sinne lebendigen Erdkörpers definieren. Haben wir den Glauben an weiteres industrielles Wachstum erst einmal aufgegeben, erkennen wir, wie bedroht lebende Systeme sind und welche Bedeutung den Bürger-Initiativen rund um den Planeten zukommt, die an einer kulturellen Wende arbeiten. Dazu bedarf es einer anderen Kultur des Fühlens. Unterdrücken wir den Schmerz, den wir für die Welt fühlen, isoliert uns das. Verstehen wir die Welt als ein zusammenhängendes Ganzes und uns als integralen Bestandteil davon, springen wir auf eine neue Ebene der Erfahrung und des Bewusstseins. Alle großen religiösen Traditionen haben damit begonnen, sich wieder mit den Wurzeln einer ganzheitlichen Spiritualität zu beschäftigen, wo die schar fe Trennlinie zwischen dem individuellen Selbst und der ihn umgebenden Welt ebenso verschwimmt wie zwischen Gott und Mensch, Innen und Außen, Himmel und Erde. Statt einer nur nach innen gerichteten Versenkung entsteht damit eine „soziale Mystik“, in der Meditation und soziale oder ökologische Aktion eins werden. Besonders die wissenschaftlichen Einsichten der modernen Allgemeinen Systemtheorie sind für den westlichen Menschen geeignet, die neuerliche Entdeckung dieses Miteinander-Verbundenseins verständlich zu machen. Psychologisch bewirkt dieser Perspektivenwechsel einen Wandel vom Gefühl der Isolation und Angst hin zu Vertrauen. Es ist ein Wechsel von einer kontrollierenden hin zu einer annehmenden Haltung. Krisen und die damit verbundenen Unsicherheiten haben die Kapazität, uns jenseits der Kontrolle für die Wirklichkeit des Lebens zu wecken. Wenn die Unsicherheit in den Vordergrund gerät, dann legen wir viel größeren Wert auf Beziehungen, können Dankbarkeit für unser Leben in dieser Welt entwickeln und die Chance begrüßen, an dem ‚großen Wandel’, der vor uns liegt, teilzunehmen, und die mit Angst und Verzweiflung gebundene Energie freisetzen, die Welt mit neuen Augen zu sehen.

Autor/innen-Biografie

Joanna Macy

Ph.D., geb. 1929 lehrt Buddhismus, Allgemeine Systemtheorie und Tiefenökologie. Studium der vergleichenden Religionswissenschaften und Politik in Paris, Assistentin von Albert Schweitzer, Tätigkeit fürs US-Außenministerium, später Entwicklungshilfe in Nordindien und Sri Lanka. Weiteres Studium der Allgemeinen Systemtheorie. In den 70er Jahren begründete sie die „Psychologische Friedensarbeit“, in den 80ern gemeinsam mit Arne Naess und John Seed die „Deep Ecology“. Mit heute 81 Jahren reist sie weiterhin um die Welt, um in Vorträgen, Workshops und durch Veröffentlichungen ihre Arbeit anzubieten, die sie „The Work that Reconnects“ nennt. Sie ist seit etwa 40 Jahren in der Friedens- und Umweltbewegung aktiv, tritt für soziale Gerechtigkeit und den Schutz der Welt ein. Sie arbeitet mit Menschen auf der ganzen Welt für eine ganzheitliche Sicht der Wirklichkeit, in der alle Lebewesen geachtet werden, dadurch, dass die Menschen politische Verantwortung, ökologisches Handeln und spirituelles Wachstum gleichermaßen bei sich fördern. Veröffentlichungen: Die Reise ins lebendige Leben – Strategien zum Aufbau einer zukunftsträchtigen Welt zus. mit Molly Joung Brown (2003), Junfermann, Paderborn. Geliebte Erde, gereiftes Selbst (2009), Junfermann, Paderborn. Fünf Geschichten, die die Welt verändern (2009), Junfermann, Paderborn.

Veröffentlicht
2010-08-03