Ganz Mensch Sein

Warum Nachhaltigkeit an uns selbst zu scheitern droht und wie sie wirklich gelingen kann

  • Daniel Sieben
Schlüsselwörter: Nachhaltigkeit, Transformation, kollektives Trauma, Eisbergmodell, Spaltung der Identität

Zusammenfassung

Der Mensch als reines Vernunftwesen ohne Psyche? Davon kann schon aufgrund zeitgemäßer Erkenntnisse der Neurobiologie und Psychologie sowie westlicher und östlicher Philosophie niemand mehr ausgehen! Beim Thema „gesellschaftliche Veränderung“ jedoch werden zentrale Begriffe wie Nachhaltigkeit und Transformation nach wie vor eher oberflächlich und ohne Verständnis der Tiefendimensionen genutzt. Die bisherigen Lösungsversuche sind begrenzt im Muster eines „Mehr des Gleichen“. Die innere Dimension bleibt weitgehend ausgeblendet und der notwendige Bewusstseinswandel wird wesentlich durch eine an die Vernunft appellierende Aufklärung für ein nachhaltiges Denken und Handeln zu erreichen versucht. Trotz eindeutiger Faktenlage bleibt dieses Vorgehen zur Lösung der globalen Umwelt- und Klimakrise unwirksam – wir bleiben bisher in einer mechanistischen Sichtweise auf Mensch, Welt und Wirklichkeit befangen und verstehen noch nicht genug, was hier zwischen Wissen und Handeln stockt.

Diese Konditionierung zu überwinden und in eine komplexere Wirklichkeitswahrnehmung zu überführen, die uns Menschen in unserer Vielfalt und Vielseitigkeit als ökologisch, sozial, emotional und spirituell verbundene Lebe- und Beziehungswesen gerecht wird, ist die innere Entwicklungsaufgabe, wenn Nachhaltigkeit und Transformation gelingen sollen. Grundlage dafür ist ein erweitertes Bild und Verständnis der tiefenpsychologischen Konditionierung der menschlichen Identität jenseits der Rationalität (Sieben, 2021). Sichtbar wird eine vierfache Spaltung in der menschlichen Identität: ökologisch, sozial, emotional und spirituell. Diese Spaltung wirkt als kollektives Trauma.

Diese These eröffnet eine neue Sichtweise für eine tiefensystemische Nachhaltigkeit und Transformation von Individuum, Wirtschaft und Gesellschaft, die die Überwindung dieser vier Aufspaltungen und die Wiederentdeckung unseres „Ganz-Mensch-Seins“ zum Ziel hat. In ihren (Wechsel-)Wirkungen untersucht, komplementär ergänzt und synthetisch verbunden werden dabei folgende vier Kernelemente: die äußere Nachhaltigkeit, die bislang als einzige Dimension der Nachhaltigkeit wahrgenommen wird, die innere Nachhaltigkeit, der individuelle und kollektive Transformationsprozess der Ganzwerdung sowie die visionäre Führung dieses Prozesses.

Der nachfolgende Beitrag enthält die Beschreibung und Verbindung dieser Kernelemente zu einem neuen Leitbild für Nachhaltigkeit und Transformation.

Autor/innen-Biografie

Daniel Sieben

Daniel Sieben ist beratender Volkswirt für Nachhaltigkeit und Transformation und lebt mit seiner Familie in Bad Vilbel bei Frankfurt am Main. Zuvor war er 10 Jahre als Relationship Manager im Firmenkundengeschäft bei drei nachhaltigen Banken tätig. Er war mehrere Jahre im Vorstand der Vereinigung für ökologische Ökonomie (VÖÖ) und lebte zwischenzeitlich auf einem Demeter-Betrieb und in einer Nachhaltigkeitsgemeinschaft. Fast gleichzeitig mit dem Studium der Volkswirtschaftslehre begann er mit der Praxis der Achtsamkeits- und Einsichtsmeditation. In seiner Promotion über einen nachhaltigen Bewusstseins- und Verhaltenswandel vereinte er Wirtschaft, Wissenschaft und Spiritualität zu einem neuen Ansatz für innere und äußere Nachhaltigkeit. Daraus entwickelte er über den Zwischenschritt der „systemischen Nachhaltigkeit“ ein ganzheitliches Leitbild für „tiefensystemische Nachhaltigkeit und Transformation“, das Anfang 2021 als Buch im oekom Verlag erschien.

Veröffentlicht
2021-12-01