Editorial

  • Markus Hänsel
  • Harald Piron
Schlüsselwörter: Editorial

Zusammenfassung

Diese Ausgabe widmet sich einem ebenso aktuellen wie klassischen Thema der Transpersonalen Psychologie und Bewusstseinswissenschaften, dem Umgang mit Konflikt(en) und den Wegen zum Frieden. Täglich erreichen uns neue Nachrichten über Kriege, Konflikte und Krisen zwischen Menschen, Bevölkerungsgruppen, Nationen und Kulturen. Die Bürgerkriege, militärischen Auseinandersetzungen und gewaltvollen Eskalationen in Syrien und den Herkunftsländern anderer Flüchtlinge sind aktuelle Beispiele. Übliche Strategien der Symptombehandlung und Schadensbegrenzung können die Probleme sicher nicht nachhaltig lösen, auch wenn sie erst einmal nötig sind. Die Herausforderung, trotz großer Unterschiedlichkeiten miteinander in Frieden zu leben als eine Menschheit, eine Welt, erscheint notwendiger denn je. Doch sie erfordert auch eine grundlegende Bewusstseinstransformation, bei der die weitverbreitete ego- und ethnozentrische Sichtweise einer transpersonalen und transkulturellen Perspektive weichen kann. Die Beiträge in diesem Heft beschäftigen sich auf ganz unterschiedliche Weise mit den Bedingungen von Konflikten, dem Heilungspotenzial von Krisen und dem Wesen bzw. den vielfältigen Facetten von Frieden. Sowohl wissenschaftliche Grundlagen und Aspekte als auch der Bezug zum inneren Erleben und praktischen Handeln finden Berücksichtigung. Welche sind die eigentlichen Ursachen von Konflikten und wie lassen sich diese beheben? Wie lässt sich Frieden herstellen und aufrechterhalten? Welche Voraussetzungen und Bedingungsfaktoren von Frieden lassen sich spezifizieren? Gibt es einen Frieden oder viele Arten von Frieden? Wird es jemals einen dauerhaften, ununterbrochenen Frieden geben können? Auf dem von unserem Redaktionsmitglied Thilo Hinterberger organisierten Symposium zu diesem Thema, das am Universitätsklinikum Regensburg im Oktober 2015 stattfand, sprachen hochkarätige Experten über ihre Erkenntnisse, Gedanken und Erfahrungen. Zwei der Redner, Prof. Dr. Wolfgang Dietrich und Susanne Luithlen, konnten auch als Autoren für dieses Themenheft gewonnen werden. Prof. Dr. Wolfgang Dietrich ist Inhaber des UNESCO Chair for Peace Studies der Universität Innsbruck und Leiter des Masterstudiengangs „MA of Peace, Development, Security and International Conflict Transformation“. In seinem Beitrag skizziert er die Perspektive einer Friedenswissenschaft, die notwendigerweise eine transpersonale und transrationale sein muss. Um persönliche, soziale und kulturelle Konflikte überwinden zu können, die sich einem umfassenden Frieden in den Weg stellen, müsse eine beziehungshafte Perspektive, die Ichbezogenheit und die egozentrische Sprache und Grammatik, die den Verstand prägt, überwunden werden. Wie könnte also eine Sprache aussehen, die das Ego überwindet und zudem die Bereiche des Lebens und Erfahrens berücksichtigt, die jenseits des Verstandes liegen? Der Aikido-Meister und Gestalttherapeut Winfried Wagner gibt einen tiefgründigen Einblick in die Philosophie des Aikido und zeigt ihre Anwendungspotenziale für allgemeines Konfliktmanagement im Alltag auf. Die friedliche, von Feindseligkeit befreite Geisteshaltung, wie sie im Aikido kultiviert wird, begegnet Konflikten, Angreifern und (potenziellen) Gegnern mit empathischer Aufmerksamkeit. Aggressionen werden nicht einfach mit Gegenaggressionen beantwortet, wie es der Laie viel leicht über den Kampfsport denken mag, sondern mit gewaltloser Besonnenheit. Die Energie des Gegners wird geschickt umgelenkt, so dass sie keinen Schaden hervorrufen kann. Das Zentrum, aus dem solch organische Achtsamkeit gelingen kann, ist nicht der Kopf, sondern der Bauch. Weiterhin geht Winfried Wagner auf die wichtigsten Prinzipien der Konflikttransformation ein. Dem Thema des Konfliktmanagements bei einem durch Unachtsamkeit und Impulsivität gekennzeichneten Störungsbild, dem sog. Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom, widmet sich der Psychotherapeut und Meditationsforscher Harald Piron. Basierend auf seiner Studie zu den Tiefenbereichen der Meditation entwickelte er ein mehrere Stufen umfassendes Training der Aufmerksamkeitsregulation, das er hier im Kontext der AD(H)S-Behandlung vorstellt. In der hitzigen Debatte um die Seriosität dieser Diagnose vertritt er die Ansicht, dass ADHS zwar eine anerkennenswerte und therapiebedürftige psychische Erkrankung ist, andererseits aber auch ein Spiegel oder Vergrößerungsglas für die typischen Probleme unserer heutigen Leistungsgesellschaft darstellt und äußerst sensible Individuen zu Symptomträgern einer Zivilisationskrankheit macht. Reini Hauser, langjährig erfahrener Psychotherapeut und Coach, stellt in seinem Beitrag den Ansatz der Prozessorientierten Psychologie (nach A. Mindell) und deren praktische Erweiterung ‚World Work‘ vor. In einem begleiteten Gruppenprozess können sich Teams, Gruppen, Organisationen ihren Konflikten und Spannungsfeldern stellen, nicht nur für eine unmittelbare Konfliktlösung, sondern auch, um darin verborgene Entwicklungspotentiale zu erschließen. Der Ansatz sieht die zugrundeliegende spirituelle Kraft in den Konflikten selbst und nutzt verschiedene spezifische Bewusstseins-, Imaginations- und Körpertechniken, um die tieferen Dynamiken des Konflikts zu erkunden. Mit einer tiefen ‚demokratischen‘ Haltung unterstützt die Prozessarbeit den Ausdruck aller Stimmen, Gefühle und Körpererfahrungen der Gruppenteilnehmerinnen und schafft so Zugang zu den Ressourcen und Potentialen, die sich im Konflikt entfalten wollen. Der Beitrag von Susanne Luithlen verortet eine grundsätzlich menschliche Neigung zu Konflikten in der Polarität von Selbst- und Fremdliebe sowie in der Tendenz zur Projektion ungeliebter eigener Anteile nach außen und in andere Menschen. Auf der Grundlage der Arbeit von H.M. Birckenbach wird der egoistisch motivierten Sicherheitslogik das eher solidarisch ausgerichtete Konzept der Friedenslogik in fünf spezifischen Dimensionen gegenübergestellt. Frieden in sozialen Strukturen entsteht demnach durch ein Anerkennen des Schattens und damit durch die Übernahme der Verantwortung für das, was wir an uns selbst ablehnen und hassen. Der Kampfkunstlehrer J. Wolters skizziert in seinem Beitrag den Ansatz der BudoTherapie. Budo als Kampfkunst orientiert sich an der buddhistischen Weisheitslehre und kultiviert durch die konsequente Übung von Körper und Geist BewusstseinsZustände wie Glück, Güte und Achtsamkeit. Budo-Therapie versucht mit einem breiten Repertoire an Übungen und Praxisformen sowohl Entspannung und Friedfertigkeit als auch aktivierende und energetisch-offensive Techniken zu vermitteln. Möge Ihnen dieses Heft viele neue Inspirationen und Impulse für das tägliche Miteinander, im Großen und Kleinen, schenken.

Mit herzlichen Grüßen, Markus Hänsel und Harald Piron 

Veröffentlicht
2015-07-19